Die Mobilitätswende braucht einen Paradigmenwechsel

Die Mobilitätswende braucht einen Paradigmenwechsel

Philipp Schneider - 7. September 2021

Die Mobilitätswende ist auch bei der IAA Thema, denn auf der Messe können verschiedene Mobilitätslösungen erlebt werden. Eine Umfrage von YouGov zeigt aber, dass viele Deutsche lieber beim gewohnten Auto bleiben wollen.

Diese Woche öffnet die IAA Mobility in München ihre Tore. Anders als zu Frankfurter Zeiten bricht die IAA diesmal aus dem Messegelände aus und präsentiert sich an verschiedenen Orten im Stadtgebiet. So können Besucherinnen und Besucher verschiedene Mobilitätslösungen testen, während sie sich zwischen den Veranstaltungsorten bewegen. Laut Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), würde hiermit das Ziel verfolgt, „die Mobilität von morgen schon heute erlebbar“ zu machen.

Ein Blick in unsere Daten zeigt, dass es allerdings nicht nur Erlebnisse mit zukünftigen Mobilitätskonzepten bedarf, um die für die Verkehrswende benötigte Nachfrage zu generieren. Viel grundlegender müssen die Verbraucher erst einmal Erlebnisse mit schon bestehenden Mobility-Services sammeln. Mobility-Services sind in der breiten Masse noch nicht angekommen.

In einer Kurzstudie aus dem März dieses Jahres zum Thema Automobile Services gab etwas mehr als die Hälfte der Befragten an, noch keinen Mobilitätsservice, wie etwa Car Sharing, Ride Hailing, Last-Mile-Angebote, etc., genutzt zu haben und sich auch nicht vorstellen zu können, dies zukünftig zu tun.

Dabei sieht die aktuelle Ausgangslage für die grundlegende Nutzung von Mobility-Services auf den ersten Blick nicht schlecht aus: Eine aktuelle YouGov-Umfrage zum Thema Mobilitäts-Apps zeigt, dass zwei von fünf Deutschen innerhalb der letzten zwölf Monate eine Mobilitäts-App genutzt haben. Geht man etwas ins Detail, differenziert sich das Bild.

DB Navigator am häufigsten genutzt

Die bekannteste – und am häufigsten verwendete – unter den abgefragten Apps ist der Navigator der Deutschen Bahn. Es folgen die Apps von Uber, Sixt, Lime und Nextbike, wobei die Nutzung der letztgenannten Apps zwischen vier Prozent und zwei Prozent liegt. Etwa jeder Zehnte nutzte eine nicht von uns abgefragte Mobilitäts-App. Entsprechend sind die am häufigsten über eine App genutzten Services jene der Deutschen Bahn und des ÖPNV, mit weitem Abstand gefolgt von Taxi, E-Bikes oder Scootern sowie Mietwagen und Car-Sharing. Da zu vermuten ist, dass hier, aufgrund der zeitlichen Einschränkung auf die letzten zwölf Monate, Corona eine Rolle bei der Nutzungshäufigkeit spielt, haben wir für absolute Zahlen einen Blick in unser Zielgruppensegmentierungs-Tool YouGov Profiles geworfen: Insgesamt haben gegenwärtig fünf Prozent der Deutschen schon einmal ein Fahrradverleihsystem genutzt, sieben Prozent einen Car-Sharing-Anbieter und neun Prozent eine Online-Vermittlung für die Personenbeförderung.


Potenzial für Super-Mobilitäts-Apps

Es gibt viele gute Gründe, warum viele Mobilitätsanbieter ihre Services in einer eigenen App anbieten. Diese Fragmentierung könnte allerdings einer der Gründe sein, warum bei den Verbrauchern eine große Skepsis hinsichtlich der Rolle von Mobilitäts-Apps für die Zukunft der Fortbewegung besteht. Drei von fünf Deutschen stimmen der Aussage nicht zu, dass die Zukunft der Fortbewegung durch Mobilitäts-Apps gelöst werden kann. Gleiches Bild auch unter aktuellen Nutzern von Mobility-Apps: 57 Prozent zweifeln, ob mittels Mobilitäts-Apps tatsächlich die Mobilitätsprobleme der Zukunft gelöst werden können. Im Zusammenhang mit dem vielfältigen Angebot an unterschiedlichen Mobilitäts-Apps zeigt sich auch das Potenzial für eine Super-App, in der alle Fortbewegungsmöglichkeiten geplant, gebucht und bezahlt werden können. Fast zwei Drittel jener, die gegenwärtig schon einmal eine Mobilitäts-App verwendet haben, stehen einer solchen Lösung positiv gegenüber.

Eine Hürde für die Mobilitätswende: Die Beziehung zum Auto

Unsere Daten lassen den Schluss zu, dass die Mobilitätswende – und damit die Mobilitätsanbieter – deutliche Hürden zu überwinden hat, darunter:
• fehlende Möglichkeiten/Infrastruktur: Viele Mobilitäts-Services werden meist nur oder vorwiegend in Ballungszentren angeboten und selbst dort teilweise nur in bestimmten städtischen Bereichen. Entsprechend zeigt YouGov Profiles, dass Mobility-Services im ländlichen Umfeld signifikant seltener genutzt werden als im städtischen Umfeld. Die Ausgangslage für den ÖPNV scheint im Vergleich deutlich besser als oft wahrgenommen: Fast die Hälfte der Deutschen ist mit der Infrastruktur des ÖPNV am eigenen Wohnort zufrieden - demgegenüber stehen allerdings 39 Prozent, die unzufrieden sind. Die Ausgangslage für den ÖPNV scheint allerdings nicht so schlecht, wie oft wahrgenommen: Fast die Hälfte der Deutschen ist mit der Infrastruktur des ÖPNV am eigenen Wohnort zufrieden – demgegenüber steht ein fast gleich hoher Anteil (40 Prozent), der unzufrieden ist.
• Fragmentierung des Angebots: Es scheint zu viele Einzel-Apps zu geben. Überregionale Plattformlösungen im Zusammenschluss von verschiedenen Anbietern können den Verbrauchern die Suche und Nutzung der Angebote vereinfachen.
• fehlende Kommunikation: Der Gedanke an die Mobilitätswende löst bei jeweils knapp einem Viertel der deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern Sorge bzw. Unsicherheit aus. Allerdings verbindet auch jeder Fünfte Neugier mit dem Thema.
• Gewohnheit der Verbraucher: Drei Viertel der Deutschen glauben an die Zukunft des Autos, zwei von fünf sind nicht der Ansicht, dass künftig weniger Auto gefahren würden. Hierzu passt, dass der wichtigste Grund für die fehlende Nutzung einer Mobilitäts-App in den vergangenen zwölf Monaten die Nutzung eines Autos war.


Das Lastenrad als Symbol für die verfahrene Situation

Die Krux, vor der die Mobilitätswende steht, konnte man gut in den vorigen Wochen an der Diskussion um eine potenzielle staatliche Förderung für den Erwerb von Elektro-Lastenräder für Privathaushalte in Höhe vom 1.000 Euro sehen. Das Thema diente nicht nur als vortreffliche Vorlage für Social-Media-Memes und die Polarisierung der wahlkämpfenden Parteien. Auch zeigte die mediale Diskussion die Komplexität des Themas Mobilität, und das teilweise stattfindende Aufwiegen von Prämien für E-Autos vs. E-Bikes verriet die damit verbundene Emotionalität. Schaut man auf die reinen Zahlen, lehnt fast die Hälfte der Deutschen eine Förderung von E-Lastenrädern für die Privatpersonen ab. Geht man ins Detail, ändert sich das Bild, abhängig von der persönlichen Situation der Menschen.

Paradigmen-Shift notwendig

Ein möglicher Schlüssel zum Erfolg der Mobilitätswende, und damit auch der Mobilitätsangebote, könnte in der passenden, auf Verbrauchereinstellungen beruhenden Zielgruppenkommunikation liegen. Hier sollten neben der reinen Angebotskommunikation potenzielle Verlustängste rund um die Themen (mobile) Freiheit und Individualität sowie rund um ökonomische Fragestellungen aufgegriffen werden. Die Mobilitätswende wird nur gelingen können, wenn die Verbraucher die Mehrwerte der einzelnen Möglichkeiten in Summe erkennen, und es einen breiten Paradigmen-Shift weg von einem exkludierenden Mobilitätsverständnis von Auto vs. ÖPNV vs. Fahrräder vs. E-Scooter etc., hin zu einem inkludierenden Verständnis gibt.

Das Thema Mobilität wird uns an dieser Stelle weiter begleiten. Ende September schauen wir in einer internationalen Studie in 17 Märkten weltweit unter anderem auf die Einstellungen gegenüber öffentlichen Transportmitteln und Ride-Hailing. Im Herbst erscheint eine Studie in Kooperation mit dem Center of Automotive Management (CAM), die sich mit dem Thema automobile Innovation und Markenwahrnehmung aus Verbrauchersicht in Deutschland, Frankreich, UK, Italien und Spanien beschäftigt.

So erschienen in der WirtschaftsWoche Online.