Werbetreibende und Agenturen – Enger zusammenarbeiten und gleichzeitig unabhängig sein
Wandel in der Agenturlandschaft
Die aktuelle Corona-Krise aber auch die „Black Lives Matter“ Bewegung sind nur zwei Beispiele dafür, wie externe Ereignisse das Verhalten und die Perspektiven von Menschen auf den ersten Blick kurzfristig verändern. Für Werbetreibende und deren Agenturen ist es daher umso wichtiger ständig zu beobachten, wie sich ihre Zielgruppe verändert, sowohl kurz- als auch langfristig. Marketingentscheidungen, ob vom Werbetreibenden selbst oder mit Hilfe einer Agentur, sollten daher immer auf Basis valider Daten geschehen und das gilt in einer sich konstant verändernden Welt mehr denn je.
Wessen Aufgabe es sei, immer zu wissen, wie die eigene Zielgruppe gerade tickt und wie man sie am besten erreicht, ist Gegenstand einer lebhaften Diskussion in der Branche: Ist es die Kreativ- oder Mediaagentur, oder gar beide? Oder sind es die werbetreibenden Unternehmen oder womöglich die ausspielenden Plattformen? – Die Antwort fällt, je nachdem wen man fragt, unterschiedlich aus.
In den letzten Jahren haben viele Werbetreibende die Kontrolle über Daten und Kampagnenmanagement zurück ins eigene Haus geholt, und dieser Trend scheint sich durch die Corona-Krise und ihre wirtschaftlichen Konsequenzen zu verstärken (s. W&V vom 4. Juni 2020). Der aktuelle Krisenkontext ist allerdings nicht die Initialzündung, sondern wirkt vielmehr als ein Katalysator, der schon seit Jahren in der Branche ablaufende Prozesse beschleunigt.
Agenturen haben lange Zeit die Hoheit über Zielgruppendaten innegehabt. Von ihnen haben sich Werbetreibende gerne abhängig gemacht. Doch nach und nach fingen Advertiser erneut an, sich selber mit der eigenen Zielgruppe zu befassen, dazu Daten zu erheben oder zu kaufen und ganzheitlich entlang der Strategie zu betrachten. Programmatic Advertising vereinfachte es dann zusätzlich, die gewonnenen Insights direkt in Kampagnen umzusetzen und Konsumenten gezielt anzusprechen. Laut IAB geben 89 Prozent aller Werbetreibenden an, zumindest Teile des Programmatic Advertising in-house untergebracht zu haben (IAB 2019). Über Automatisierung und künstliche Intelligenz sind viele Prozesse, sowohl in der Datenanalyse als auch in der Umsetzung, nicht mehr so personalintensiv wie früher und können effizienter und schneller durchgeführt werden. Die Tatsache, dass hier Kampagnen ohne Agentur geplant und eingekauft werden können, macht den Werbetreibenden unabhängiger. Aber um an diesen Punkt zu kommen, müssen zunächst Know-how und technische Infrastruktur aufgebaut werden.
Zusätzlich zwingt der Umstand, dass Agenturen aufgrund von sinkenden Mediaspends im Zuge der Corona-Krise Personal abbauen, Werbetreibende, mit weniger Support auszukommen. Dies wirkt auf den ersten Blick wie ein weiterer Schritt hin zur Marginalisierung von Agenturen im Werbe-Kommunikations-Prozess. Allerdings bietet sich genau hier eine Chance für die Agenturen, Werbetreibende beim Aufbau der oben beschriebenen Kompetenzen und dem notwendigen Change-Management und Know-how-Transfer zu unterstützen, um so auch langfristige wirtschaftlich attraktive, hybride Prozesse aufzubauen. Denn wie so oft muss es hier kein Entweder-Oder geben, sondern Agenturen und Marken können hier tatsächlich Partner werden und gemeinsam Strategien erarbeiten. Eine gemeinsame Datenbasis, wie beispielsweise YouGov Profiles sie bietet, kann hier helfen, auch eine gemeinsame Sprache zu sprechen: Die Agentur nutzt die gleichen Daten für die Strategie, Planung und oft auch Ausführung, die vom Advertiser schon in der Marketingplanung verwendet wurden, so dass einzelne Kampagnen besser mit der übergeordneten Markenstrategie harmonieren. Aus Sicht des Werbetreibenden wird es so einfach, die Agentur zu steuern. Daten sind der Kit für diese engere Partnerschaft.
Bei diesem Prozess kommt es Mediaagenturen zugute, dass sie sich in den letzten Jahren schon stärker zu Beratern entwickelt haben. Obwohl Marken- und Kommunikationsstrategien lange Zeit deutlich von Kreativagenturen vorangetrieben wurde, haben Mediaagenturen zunächst auch hier mitgemischt. Neuerdings geht der Trend wieder zurück zur Full-Service-Agentur. Wieder mit einer singulären Agentur zu arbeiten, die sich um alles kümmert, von Strategie über Kreation und Mediaplanung hin zu Ausführung und Messung, sollte bei vielen Werbetreibenden auf Gegenliebe stoßen, da die Zusammenarbeit zwischen mehreren Agenturen nicht immer reibungslos verläuft. Natürlich ist hier zu beachten, dass auch die klassischen Berater (Accenture & Co.) seit einigen Jahren diesen Bereich für sich entdeckt haben. Agenturen haben jedoch den Vorteil, sowohl strategische Kompetenzen mitzubringen, mit technischem Know-how unterstützen sowie ihre langjährige Erfahrung zum Mediaeinkauf und allen dazugehörigen Feinheiten, u.a. Measurement und Ad Verification, einbringen zu können.
So verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen den verschiedenen Agenturtypen immer weiter, auch die Grenze zwischen Agentur und Werbetreibenden wird deutlich durchlässiger, wenn Agenturen dabei helfen neue Strukturen und Prozesse zu schaffen. Dabei gehen einzelne traditionelle Agenturaufgaben zum Kunden-Unternehmen, es kommen aber neue Aufgaben für die Agentur dazu. Insgesamt bietet diese Entwicklung Chancen für beiden Seiten, sich für die Zukunft neu aufzustellen und als Team effizienter und flexibler agieren zu können.
Dieser Artikel ist am 23. Juli 2020 auch erschienen in der W&V.